Geschlossen, vergessen, verkannt
Sexarbeit hat es immer in jedem Land gegeben. Sexarbeit gehört zu unserer Gesellschaft und ist Teil unserer Kultur. Sie erfüllt wichtige Bedürfnisse und trägt zum Gemeinwohl bei. Mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 und dem Prostituiertenschutzgesetz von 2017 wurden der Branche die fast gleichen Rechte eingeräumt, die andere Gewerbetreibende und Beschäftigte selbstverständlich in unserer toleranten, vielfältigen und die Rechte des Einzelnen stärkenden Gesellschaft lange haben. Diese Entwicklung muss fortgesetzt werden. Nur wenn Sexarbeit rechtlich gleichgestellt ist und respektvoll behandelt wird, kann sie sich weiterentwickeln.
Dass es diese Gleichstellung noch nicht gibt, zeigt sich in der Corona-Krise deutlich. Die Bordelle waren die letzten Betriebe, die 2020 nach dem ersten Lockdown wieder öffnen durften, aber auch erst nach vielen Gerichtsverfahren. Am 2. November wurden sie dann wieder als erstes geschlossen, obwohl sie nachweisbar über gute Hygienekonzepte verfügten und trotz der substanzlosen Vorwürfe eine perfekte Kontaktdatenerfassung vorlegten. Auch der Vorwurf „Sexarbeit sei ein Superspreader“ hat sich als falsch herausgestellt. Sexarbeit findet in der Regel in einem eins zu eins Kontakt statt. Masken stellen kein Hindernis dar – man muss nur auf einen Teil der sexuellen Dienstleistungen verzichten. Die Politik muss auch Prostitutionsstätten und Sexarbeiter*innen eine Öffnungsperspektive bieten ohne erneute Diskriminierung.
Auch die Gegner*innen der Prostitution nutzen die derzeitige Situation. Sie werden lauter, beleidigen und diffamieren Sexarbeiter*innen, Kund*innen und Bordellbetreiber*innen. Sie sprechen ausschließlich von „Tätern“ oder „Opfern“ und fordern opportunistisch die unbeschränkte Schließung der Bordelle sowie die Einführung eines generellen Sexkaufverbots in Deutschland.
Das hat System: Es geht den Prostitutionsgegner*innen nicht um den Respekt vor den Menschen in der Sexarbeit oder deren Rechte. Es geht ihnen um ihre Vorstellung von Moral und ihr Bild einer konservativen, bürgerlichen Gesellschaft einhergehend mit der Beschneidung von Menschen- und insbesondere Frauenrechten, die die freie Entscheidung über den eigenen Körper und besonders über die eigene Sexualität garantieren.
Was bedeutet ein Sexkaufverbot?
Unterschiedliche Bezeichnungen sind zu finden. Einmal wird vom Schwedischen, dann vom Nordischen Modell gesprochen. Allen diesen Modellen ist gleich, dass in den Ländern Schweden, Norwegen, Frankreich, Island und Israel per Gesetz der Kauf von sexuellen Dienstleistungen unter Strafe steht. Die Kund*innen werden – von der Polizei auf dem Weg zum Treffen mit einer Sexarbeiter*in, im Auto, in einer Wohnung oder Hotel – verfolgt und mit einem Bußgeld oder sogar mit Gefängnis bestraft. Den Sexarbeiter*innen drohen nach diesem Gesetz keine Strafen. In den fraglichen Ländern folgt man der Idee, dass Sexarbeit per se Vergewaltigung ist und keine Sexarbeiter*in die sexuellen Dienstleistungen freiwillig anbieten, obwohl sich Sexarbeiter*innen – auch in diesen Ländern – immer gegen die Einführung eines Sexkaufverbots stark gemacht haben.
Welche Folgen hat ein Sexkaufverbot für die Sexarbeiter*innen?
Bordelle sind in diesen Ländern verboten, sowie auch die Vermittlung. Sexarbeiter*innen sind also auf sich allein gestellt und können ihre sexuellen Dienstleistungen nur per Telefon und Internet anbieten. So fehlen ihnen der Schutz eines Bordells und der kollegiale Austausch mit Kolleg*innen.
Da die Kund*innen Angst vor der Strafverfolgung haben, treffen sie sich nicht mehr öffentlich mit Sexarbeiter*innen, sondern nur noch an versteckten Stellen und im privaten Bereich. Sexarbeiter*innen müssen daher ein höheres Risiko eingehen mit Gewalt und Ausbeutung konfrontiert zu werden und arbeiten allgemein unter mehr Stress.
In den besagten Ländern ist oft aber auch jede Form der Partizipation am Lohn der Sexarbeiter*in“ verboten und dies betrifft: Familienangehörige, besonders Kinder, die vom Lohn mit ernährt werden, Vermieter, die privaten Wohnraum den Sexarbeiter*innen zur Verfügung stellen, etc. Aber auch Kund*innen können nicht mehr einer Sexarbeiter*in in Not helfen und sie zur Polizei begleiten, weil sie sich dann automatisch einer Bestrafung als Freier*in aussetzen. Ausländische Sexarbeiter*innen werden sogar abgeschoben.
Ist das Sexkaufverbot in Ländern wie z. B. Schweden erfolgreich umgesetzt worden?
Es liegen inzwischen genug Studien (über 134) vor, die nachweisen, dass eine (Teil-) Kriminalisierung der Sexarbeit immer mehr schadet als nützt. Es schwächt die Rechte und die Position von Sexarbeiter*innen, macht sie vulnerabel, sie arbeiten im „Illegalen“, sie sind mehr Gewalt ausgesetzt und sie scheuen sich vor einer Anzeige. Auch sind sie nicht mehr erreichbar für Hilfsangebote besonders nicht auf Aus-/Umstiegsangebote. Nur die konsequente Umsetzung von Menschenrechten schützt Sexarbeiter*innen im Gegensatz zu Verboten.
In den oben genannten Ländern ist die Sexarbeit nicht verschwunden oder hätte sich gänzlich erübrigt – im Gegenteil: In Frankreich, wo seit drei Jahren das Sexkaufverbot gilt, hat die Zahl der Sexarbeiter*innen nicht abgenommen. Dafür ist bei der Ausbeutung von Minderjährigen und Menschenhandel die Tendenz steigend. In Irland ist das Sexkaufverbot gescheitert. Eine neue Untersuchung hat gezeigt, dass die Gewalt an Sexarbeiter*innen nach der Einführung des Gesetzes gestiegen ist. Auch schwedische Sexarbeiter*innen erklären das „Schwedische Modell“ nach 20 Jahren für gescheitert, weil sie zu Opfern erklärt wurden und ihnen die guten Rahmenbedingungen für die Ausübung der Sexarbeit genommen wurden.
Es müssen endlich die Menschenrechte von Sexarbeiter*innen umfassend geschützt werden. Das ist mit einem Sexkaufverbot nicht möglich.
Warum fordern Prostitutionsgegner*innen ein Sexkaufverbot?
Prostitutionsgegner*innen argumentieren aus der moralischen Ecke heraus, ohne mit Sexarbeiter*innen zu sprechen und diese in ihren Forderungen zu unterstützen. Sie lassen sich ausschließlich von der Not, der Ausbeutung und der Gewalt leiten, die einzelnen Sexarbeiter*innen begegnen. Ja: Jeder Fall ist einer zu viel. Doch in jedem dieser Fälle braucht es einen umfassenden Opferschutz, Bleiberecht für aussagewillige Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel und natürlich Umstiegsangebote sowie Zugang zum staatlichen Sozialsystem und Wohnraum.
Vor allem sollten bestehende Gesetze und Mittel gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution erst umfassend genutzt und ausgeschöpft werden, bevor Verbote und weitere Gesetze gefordert werden. Ein Sexkaufverbot beraubt allen, den Sexarbeiter*innen in Not und der großen Gruppe der freiwillig und autonom tätigen Sexarbeiter*innen, ihrer Rechte. Ein Verbot setzt den falschen Fokus. Es vernachlässigt die Stärkung der Eigenkräfte, das Empowerment und die, wie in allen anderen Erwerbsbereichen, notwendige Professionalisierung von Sexarbeiter*innen.
Wir haben doch das ProstG und ProstSchG - reicht das nicht?
Das Prostitutionsgesetz (ProstG - am 1. Januar 2002 in Kraft getreten) hat wenige Rechte festgeschrieben, z. B. das Recht auf den Lohn und das Recht ein Bordell zu führen. Vorher wurde Sexarbeiter*innen – auch von Gerichten – das Recht auf den mit den Kund*innen vereinbarten Lohn abgesprochen, auch wenn die Leistung erbracht worden war. Die Gerichte argumentierten mit dem Vorwurf eines „sittenwidrigen Rechtsgeschäftes, das nichtig sei“.
Bordelle wurden geschlossen, besonders wenn sie mehr als Wohnraum zur Verfügung stellten, z. B. Kondome, ein gehobenes Ambiente und hohe Preise. Das würde die Sexarbeiter*innen am Ausstieg hindern?!
Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG, am 1. Juli 2017 in Kraft getreten) hat die gesamte Branche, wie kein anderes Gewerbe, einer umfassenden staatlichen Kontrolle und Reglementierung unterworfen. Seitdem müssen sich Sexarbeiter*innen in einem engmaschigen System gesundheitlich beraten lassen und werden entsprechend registriert. Über beides müssen sie „Ausweise/Bescheinigungen“, den sog. „Hurenausweis“, bei der Arbeit mit sich führen. Sexarbeiter*innen betrachten dies als diskriminierend und als Zwangsouting.
Bordelle, auch Prostitutionsstätten genannt (dieser Begriff wurde im Gesetz neu eingeführt), unterliegen einer großen Kontrolle von Seiten verschiedener Ämter und Institutionen, z. B. den Gewerbe- und Bauämtern. Sie müssen viele Auflagen erfüllen, z. B. eine umfangreiche Dokumentationspflicht. Mit dem ProstSchG wurde ein weiteres Sondergesetz geschaffen und leider eine Einbindung ins sonstige Gewerberecht sowie eine Reform des Bau- und Baunutzungsrechts verhindert. Bei der Umsetzung dieses ProstSchG bestehen auch heute noch – fast vier Jahre nach seinem Inkrafttreten – viele Unklarheiten und Probleme sowie Ungerechtigkeiten im Vergleich zu anderen Gewerben. Bis heute erfolgte keine zufriedenstellende Einrichtung der neuen Amtsstellen. Während der Corona-Pandemie konnte meist der Hurenausweis nicht verlängert werden und die Bearbeitung der Erlaubnisse für die Prostitutionsstätten blieben liegen.
Was wollen wir mit dieser Kampagne erreichen?
Wir wehren uns gegen klischeehafte, negative Bilder von unserer Branche. Wir wollen Licht in die Vorwürfe und Vorverurteilungen bringen und dem die Realität entgegensetzen. Die Sexarbeitsbranche ist eine enorm vielfältige Branche. Sexarbeiter*innen, Kund*innen und Bordellbetreiber*innen haben alle ihre eigene Geschichte, ihre eigene Motivation, ihr eigenes Geschäftskonzept und ihre Berechtigung. Das gilt es zu erhalten – mit und ohne Corona. Darüber wollen wir aufklären und brauchen dafür die Stimme einer JEDEN, eines JEDEN.
An wen richtet sich diese Kampagne?
Alle Menschen sind aufgerufen, mit ihrer Stimme den Kampf gegen Ungleichheit und Diskriminierung zu unterstützen. Wir Feminist*innen müssen wieder zusammen halten. Es geht um Frauenrechte und damit Menschenrechte sowie die Freiheit Aller.
Jetzt Unterzeichnen!